Das Märchen von der straffreien Hundeausbildung
In den letzten Jahrzehnten machten die Kynologie und das Wissen um die Erziehung und Ausbildung des Hundes einen großen Entwicklungsschritt.
Während vor 20-30 Jahren Hunde hauptsächlich über Zwang und Schmerz ausgebildet wurden, sind wir heute ein ganzes Stück weiter. Begrifflichkeiten wie „positive Bestätigung“, „bedürfnisorientierte Belohnung“ mit Clicker, Futter, Spielzeug oder ähnlichem, dominieren die vielversprechenden Werbeslogans diverser Hundeschulen.
Doch was ist dran an der komplett straffreien Hundeausbildung?
Ist dies überhaupt möglich?
- Nein! So nett es sich auch anhört, das ist leider nicht möglich. -
Doch bevor nun der große Aufschrei kommt, sollten wir die Definition der Begrifflichkeit „Strafe“ genauer hinterfragen. Unterschieden wird hier zwischen positiver Strafe und negativer Strafe.
In der Hundeausbildung stehen diese beiden Begrifflichkeiten in einer engen Verbindung zu positiver- und negativer Verstärkung.
Deutlicher wird all dies mit ein paar Beispielen aus der alltäglichen Hundeausbildung. Hierzu üben wir heute mit unserem Hund das Kommando „Platz“.
Von den vier beschriebenen Möglichkeiten in unserer Ausbildung entscheiden wir uns natürlich erst mal für die positive Verstärkung. D.h. wir geben das Kommando „Platz“, unser Hund legt sich bereitwillig hin, er wird bestätigt (durch Futter, Spiel, verbales Lob…) und unsere heile Welt ist in Ordnung. Doch was tun wenn der Hund ein Sitzen oder stehen bleiben bevorzugt?
Gehen wir weg von der Hundeausbildung auf dem Dressurplatz, hin zu dem Alltag mit unserem Hund. Endlich, endlich ist das leidliche Gehorsamstraining beendet und der kleine Prinz oder die kleine Prinzessin sind wieder einfach nur Familienmitglied, Haushund, Partner- oder Kinderersatz. Auf die Frage ob Sie Ihren Hund nun auch im Alltag strafen, werden viele sicher deutlich mit „Nein!“ antworten.
Doch ist dies wirklich so? Nein!
Mit unserem jungen Hund machen wir uns auf den Weg zu einem netten Spaziergang. Nach wenigen Metern erreichen wir die bekannte Hunde-Spielwiese, auf der schon von weitem Bellen und Toben der Hundekumpels zu hören ist. In freudiger Erwartung legt unser Hund nun einen Zahn zu, zum schnelleren vorankommen wird seinerseits kräftig gezogen. Und schon ist sie da, die Strafe! Genauer gesagt wird hier unbewusst und unfreiwillig eine positive Strafe gesetzt. In dem Moment in dem unser Hund beschließt einen Zahn zuzulegen, erfolgt ein Ruck an der Leine. Auch hier steht die positive Strafe in enger Verbindung mit der negativen Verstärkung. Denn wird das Ziehen des Hundes nicht unterbunden, verspürt der Hund dauerhaft einen Druck auf dem Halsband oder Geschirr, bis er sich diesem durch Verlangsamen oder stehen bleiben entzieht.
Gut, auf Ihrem Spazierweg liegt keine Spielwiese? Ihr Hund hat keine Freunde? Ok, aber sicher wird Ihr pubertierender Jung-Rüde irgendwann in den Genuss der Duftwolke einer läufigen Hündin kommen. Sicher ist es Ihnen nicht fremd, wenn Ihr Rüde sich an, zuvor von einer läufigen Hündin markierten Stelle, regelrecht festsaugt. Ein freundliches „lass uns doch bitte nicht hier schnuppern und weiter gehen“ führt hier nur selten zum Erfolg. Was ist also hier das Mittel der Wahl? Der Hund wird mit einem, mal mehr und mal weniger starken, Ruck an der Leine weggeführt.
Sie haben keinen Rüden? Ihre Hündin interessiert sich nicht für läufige Artgenossen? Glück gehabt? Leider nein. An der nächsten Parkbank wittert die verfressene Dame, einen knapp den Mülleimer verfehlten, alten Burger und mit einem beherzten Sprung zur Seite möchte sie diesen ihr Eigen nennen. Und da ist er schon wieder, der Ruck an der Leine, oder das Verwehren eines positiven Reizes.
Nun stellen wir uns wieder die Frage: ein einfacher Spaziergang ohne Strafe, geht das wirklich?
Während wir nun, über obige Fragestellung nachdenken unseren Spaziergang fortsetzen, machen wir noch einen kurzen Exkurs zur bedürfnisorientieren Belohnung. Da dieses ständige Gerucke an der Leine nicht nur für unseren Hund, sondern auch für uns (denn schließlich hängen wir am anderen Ende der Leine) unangenehm wird, läuft unser kleiner Prinz oder die kleine Prinzessin nun offline. Doch noch bevor wir unseren nun endlich straffreien Spaziergang fortsetzen können, startet unser Hund zu einem lustigen Jagdausflug.
Da wir brav die Hundeschule besuchten und den Rückruf unseres Hundes mit rein positiver Verstärkung aufgebaut haben, greifen wir zu unserem ersten Mittel der Wahl! Na? Genau? Wir trällern fröhlich den Namen des Hundes und wedeln freudig mit unserem Leckerlie durch die Lüfte.
Doch mit sehr großer Wahrscheinlichkeit wird das Ihren Hund in dieser Situation ziemlich kalt lassen. Im Gegenteil, wird er von uns an seinem Jagdausflug (der in diesem Moment eine positive Erwartung für den Hund darstellt) gehindert, sind wir schon wieder bei der negativen Strafe angelangt. Wird der Hund dann auch noch dazu genötigt sich das herumgewedelte Leckerlie „rein zu zwingen“, während er doch viel lieber Jagen würde, könnte man schon fast von einer positiven Strafe sprechen.
In diesem Fall ist die bedürfnisorientiere Belohnung unser Mittel der Wahl. Das Bedürfnis (in diesem Beispiel das Bedürfnis nach Jagd) wird umgelenkt auf ein Alternativ-Verhalten. Beispielsweise hindern wir den Hund an der Hatz nach dem Feldhasen und bieten stellvertretend eine kontrollierte Jagd nach dem Futterbeutel, gemeinsam mit uns an.
Hört sich doch erst mal gut an, ist es auch. Trotzdem beleuchten wir hier nochmal kurz den Begriff „Bedürfnis“ etwas genauer.
Was ist ein Bedürfnis?
- Ein Bedürfnis wird allgemein hin als Verlangen empfunden, einen Mangel zu beseitigen –
Aha, einem Bedürfnis vorausgesetzt steht also in erster Linie ein Mangel. Und selten wird ein Mangel als etwas Positives empfunden, oder?
Will ich also den Hund bedürfnisorientiert über Futter belohnen, funktioniert dies nur wenn zuvor ein Mangel an Nahrung herrschte. Will ich ihn bedürfnisorientiert über ein (Jagd-) Spiel belohnen, funktioniert dies nur, wenn zuvor ein Mangel an Spiel (z.B. durch langweilige Spaziergänge an kurzer Leine) herrschte… und schon können wir wieder eine Brücke zur negativen Strafe oder gar negativen Verstärkung schlagen.
Fazit:
Wir distanzieren uns von jeglicher Arbeit mit dem Hund unter Starkzwang, Schmerz oder sonstigen, tierschutzrelevanten Ausbildungsmethoden.
Möchten jedoch darauf hinweisen, dass das Märchen von einer straffreien Hundeausbildung oder Erziehung nur ein nicht erfüllbares Werbeversprechen ist.
Strafe in der modernen Ausbildung und im lerntheoretischen Sinne ist nicht gleichzusetzten mit Schmerzen oder Starkzwang. Bevor man bei dem Begriff „Strafe“ in der Hundeausbildung laut aufschreit, sollte man sich die Definition dieser Begrifflichkeit im lerntheoretischen Sinne vor Augen führen.
Es stellt sich nicht die Frage ob wir eine Strafe bei der Hundeerziehung anwenden wollen, dies tun wir, ob bewusst oder unbewusst, zwangsläufig. Uns stellt sich lediglich die Frage welche Art der Strafe wir wählen und in welcher Dosierung wir diese anwenden.
In erster Linie soll der Aufbau in der Hundeausbildung und Erziehung über positive Verstärkung und bedürfnisorientierte Belohnung erfolgen. Die zwangsläufig erfolgte Strafe sollte wohl dosiert und mit Bedacht gewählt sein.